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Reformierte Kirchgemeinde Zweisimmen

Beinhaus

Das Beinhaus neben der Zweisimmer Kirche wurde im Jahre 1481 errichtet.

Bereits aus dem Judentum sind sogenannte Ossuarien bekannt, kastenförmige Behältnisse aus Keramik oder aus Stein gehauen. Darin wurden die Knochen Verstorbener aufbewahrt, nachdem der übrige Leichnam verwest war.

Theologischer Hintergrund ist die Vorstellung, die dann ausgeweitet auch im mittelalterlichen Christentum Eingang fand, daß der Körper möglichst unversehrt die Auferstehung erwarten sollte. Aus diesem Grund etwa lehnte die mittelalterliche Kirche ja auch die Brandbestattung ab.

Mit der karolingischen Gesetzgebung durch Karl den Großen von 785 wurde die Leichenverbrennung bei Todesstrafe verboten und die Bestattung auf dem Kirchhof zur Pflicht gemacht. Der Kirchhof wurde nicht nur Bestattungsplatz, sondern bildete mit der Kirche eine kultische Einheit. Er war nicht allein Stätte der Toten. Als geweihter Ort (locus sacer) war er Freistatt und hatte Teil am Asylrecht der Kirche. Die Kirche mit ihrer Ostausrichtung war gestalterischer und geistiger Mittelpunkt des Kirchhofs. Den Kirchhof umgab eine Hecke (Dornhag), ein Zaun oder eine Mauer. Diese hatten apotropäischen Charakter: Dämonen und böse Geister sollten vom Friedhof ferngehalten werden; andererseits sollte ein unbewußtes Betreten des Friedhofes vermieden werden.

Die Gräber gruppierten sich um die Kirche mit Ausrichtung auf den Altar, in möglichst großer Nähe zum Allerheiligsten und zu den dort aufbewahrten Reliquien Dabei bildete sich eine soziale Rangfolge der Bestattungen heraus, vom Grab in der Kirche nahe dem Altar für wichtige Personen des Gemeindelebens (Priester, Kirchenherren, Stifter) bis zum einfachen Grab an der Kirchhofmauer (für ungetaufte Kinder, auf Gemeindegebiet gefundene, nicht zu identifizierende Leichen, außerhalb der Mauer Selbstmörder und Opfer der Blutgerichtsbarkeit).

Daneben gab es auch geweihte Massengräber. Insbesondere in Zeiten erhöhter Sterblichkeit (infolge von Seuchen, Hungersnöten, Kriegen etc.) gerieten die Kirchhöfe schnell an ihre Kapazitätsgrenze, so daß Umbettungen halbverwester Leichen und die ständige Öffnung der Gräber für anhaltende Geruchsbelästigung und gesundheitliche Gefahren sorgten. Pestfriedhöfe weit außerhalb der Siedlungen sollten zumindest die ärgste Gefahr eindämmen.

Das mittelalterliche Grab auf dem Kirchhof war kaum kenntlich, der Grabhügel eingesunken, teilweise auch eingeebnet. Vielfach wurden für die Toten Denk- und Erinnerungszeichen in der Kirche oder an der Kirchenwand angebracht. Der Beisetzungsort selbst war relativ uninteressant. Den Toten wurden Kränze und Sträuße mit ins Grab gegeben, das Grab mit Blumen bestreut. Dabei wurde Pflanzen verwendet, denen man apotropäische (böse Geister abwehrende) Kräfte zuschrieb, bzw. deren Symbolik eng mit der Vorstellungswelt der Menschen jener Zeit verbunden war (z.B. Eibe und Wacholder als Schutz vor dem Bösen Blick, Efeu und Immergrün als Zeichen der Unsterblichkeit und Auferstehung).


Mit der stärkeren Besiedlung des Simmentals im Hochmittelalter konnte es nun immer wieder vorkommen, daß aus Platzmangel oder weil die Gräber nicht (mehr) kenntlich waren, Gräber geöffnet wurden und Knochen, vor allem Schädel und große Röhrenknochen zutage kamen. Da brachten Beinhäuser eine Lösung: Beim Ausheben eines neuen Grabes gefundene Knochen wurden hier von nun an sorgsam aufbewahrt, meist sogar in entsprechenden Regalen kunstvoll aufgeschichtet. Wurden Beinhäuser bis etwa 1300 auf der Nordseite der Kirchen errichte, da „Norden“ in der Symbolik des Mittelalters die Seite der Dunkelheit, des Todes war, fand ab 1300 ein Umdenken statt. Beinhäuser wurden von nun an auf der Südseite plaziert: Der Süden als Seite des Mittags, des Lichts, der Auferstehung.

Beinhäuser gehörten ab dem 11. Jahrhundert in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz mancherorts zum Ensemble von Kirche und Friedhof. Sie wurden gewöhnlich in Hanglage und zweigeschossig gebaut, wobei der untere Raum für die Aufbewahrung von Knochen, der obere als Kapelle für Totenmessen und sogenannte „Jahrzeiten“ bestimmt war. Die Verstorbenen waren damit „unter dem Altar“: im räumlichen wie auch im geistlichen Sinne. Die Reste des Altarfundamentes sind im großen Saal im Mittelgeschoß des Zweisimmer Beinhauses unter einer schützenden Glasplatte gut zu erkennen.

Das im Jahr 2006 renovierte Beinhaus hat drei Räume; Unter- und Mittelgeschoss haben historische Prägung. Pfarrerin Linda Grüter hat ihr Büro im Untergeschoss. Das Obergeschoss unter dem Steildach ist mit Sicherheit der einzige Raum weit und breit in solch hoher Dreieckform. Natürliches Licht fällt einzig durch das kreuzförmige Fenster hinein. Die Räume eignen sich durch ihre spezielle Atmosphäre für Kurse, Seminare und Weiterbildungen, aber auch für Privat- und Vereinsanlässe, und werden dazu von der Kirchgemeinde vermietet.